Von dem Wert wahrer Bücher

 

Liveria Lello, ein Büchertempel in Porto (Portugal)

 

Liveria Lello, ein Büchertempel in Porto (Portugal) mit der ungewöhnlichsten und nicht beschreibbaren Treppe. Man muss sie ergehen um sie zu verstehen.  © Alle Fotos: Bhajan Noam

 

 

 

 

 

VON DEM WERT WAHRER BÜCHER

 

Bei wahren Büchern reicht die bloße Anwesenheit.
Du musst sie gar nicht mal lesen.
Sie wirken durch ihr reines Dasein.
(Bhajan Noam, 10.4.2022)

 


Von dem Wert wahrer Bücher

 

Bis unser Geist gereift ist, brauchen wir gute Bücher. Durch das heutige Sortiment in den Buchläden haben die meisten Menschen ein verzerrtes Bild davon, welchen Wert wahre Bücher haben. Die Klassiker stehen irgendwo ganz hinten, quasi in der Schmuddelecke, und der ganze Schrott wird wie im Supermarkt vorne aufgetürmt. Das hat nichts mehr mit Kultur zu tun, mit der Bücher eigentlich in Verbindung gebracht werden. Wer kennt und liest hier noch Novalis? Wer kennt die persischen Dichter und Mystiker Hafiz und Saadi, deren beider prachtvolle Gräber man in der blühenden Stadt Shiraz besuchen kann? Wer hat hier vom Buch des Mirdad des libanesischen Dichters Mikhail Naimy gehört? Wer kennt die Reisetagebücher des japanischen Zen-Dichters Basho oder Das wahre Buch vom südlichen Blütenland des chinesischen Weisen Dschuang Dsi? Diese Liste von Büchern, die dem Menschen Kultur und Weisheit schenkten und immer noch schenken können, aber keine Millionenseller sind, ließe sich beinah endlos verlängern. Ohne sie wären wir sehr sehr arm. Sprecht mit einem Buchhändler, der sich nicht von der Mode treiben lässt und der noch Zeit für euch hat – oder geht in gute Bibliotheken. Sucht nach den verborgenen, den wahren Büchern, dem kostbarsten Schatz der Menschheit!

 

© 2017 Bhajan Noam

 


Über Haptik, Optik und Ästhetik

 

Ist ein Bücherregal oder gar eine alte Bibliothek nicht etwas ganz anderes als ein flaches iPhone oder iPad? - "Ein Raum ohne Bücher ist wie ein Körper ohne Seele", sagte Cicero. – Wenn wir das Geschriebene nicht mehr anfassen können, werden unser Gehirn, unser Denken, unsere Sinne und unser Leben verarmen. Zum Lesen gehört nicht nur der Sehsinn sondern auch das Fühlen des Umschlags und der Seiten, das Hören beim Umblättern, das Riechen von Druck und Papier, gehören die feinen Sinne, die Struktur und Gewicht wahrnehmen und natürlich auch der ästhetische Sinn für die Schrift und die gesamte Gestaltung des Buchs. – Ich kaufte mir kürzlich ein Buch von ca. 1820, und es ist ein wunderbares Gefühl, es in Händen zu halten. Am schönsten aber ist die Leseerfahrung. Es wurde in einer Schrift gesetzt, die heute kaum noch jemand entziffern kann, die ich aber bei meiner Druckertätigkeit und in meinem Grafikstudium noch gelernt habe. Diese Schrift ist so entspannend für die Augen und fließt regelrecht sanft ins Gehirn. Dieses Lesen tut dem ganzen Körper gut. Ich vergleiche es gerne mit einem Barockmusikkonzert, wo noch mit den originalen Instrumenten gespielt wird. Solche Musik ist das gleiche für Herz und Ohren, wie ein altes Buch für Augen und Gemüt.

 

© 2017 Bhajan Noam

 

 

Anregende Worte über das Schreiben

 

Mein erstes Buch habe ich quasi in einer Nacht geschrieben. Der ganze Stoff kam runter und floss durch meine Finger. – Dann aber habe ich zwei Jahr daran gesessen und gefeilt, bis es für mich rund war. Und das ist die eigentliche Arbeit, oder der wirkliche Spaß. Du brauchst nicht zwangsläufig einen Lektor. (Er kann am Anfang eine Hilfe sein, das ist richtig. Er kann aber genauso auch verhindern, dass du wirklich zu deinem ganz eigenen Wesen und Stil findest. Gute Lektoren fördern dich darin, die sind aber selten). Es gibt eine innere Instanz, die dir sagt, wann es richtig ist. Die Voraussetzung dazu ist allerdings, dass du viel schreibst und viel liest, bewusst liest, dass du Tagebuch schreibst und am besten schon früh damit begonnen hast. Im Zen-Buddhismus nennt man das: "Ein hohles Bambusrohr werden, eine gute Flöte für den Spieler". Ich lasse mir alles von meiner Frau vorlesen und nehme auch ihre Kritik an (meistens). Den eigenen Texten zuhören hat seine ganz eigene Qualität. Wenn der andere beim Vorlesen ins Stocken gerät, stimmt entweder mit dem Rhythmus etwas nicht oder mit der Logik. – In einem Ankündigungstext für ein Seminar schrieb ich folgende Zeilen:

 

„Wort und Welt sollen übereinstimmen.“
(Spruch der Cheyenne)

 

Wer schreiben möchte, sollte zuerst sehr viel lesen und sollte lernen – immer wieder neu –, den Menschen, besonders den Klugen und Weisen unter ihnen, zuzuhören. Und das wird niemals ein Ende haben. Wer die Kunst des Schreibens erlernen will, muss zuvor die Fertigkeit des Denkens erlernen. Wer strukturiert zu denken gelernt hat, vermag sich in Wort und Schrift klar auszudrücken. Klarheit in sich selbst erringen ist ganz nebenbei auch praktische Friedensarbeit. Es sind die Unklarheiten, die zu Missverständnissen und Unfrieden führen. Klarheit eint auch kontroverse Ansichten. Schreiben hat somit sehr unmittelbar mit dem Leben zu tun.

 

Schreiben ist zunächst eine Möglichkeit herauszufinden, wer man selbst ist. Mache etwas Kostbares aus jedem Satz, dann machst du etwas Kostbares aus dir und deinem Hiersein. Schreiben ist Selbstfindung und Selbsterfindung. Schreiben darf sich nicht vom Leben abheben. Es hat seine Wurzeln im Leben, und zur Zeit der Reife schenkt es ihm aus purer Dankbarkeit seine zartesten Blüten und die süßesten Früchte.

 

„Schreiben kostet Bäumen das Leben,
d. h. schreibe keinen Unsinn.
Vermeide ihn am besten schon beim Denken.“
(Bhajan Noam)

 

Mit seinem Schreiben an die Öffentlichkeit gehen, heißt nicht, dem Leser seinen „Seelenmüll“ zuzumuten. Es sollte vielmehr ein Teilhabenlassen sein an den tiefsten und im eigenen Sein verifizierten Erkenntnissen. In welcher Form es dann zum Ausdruck gebracht wird, ob als Gedicht, Kurzgeschichte, Essay oder Roman, spielt keine Rolle, solange es gut – im Sinn von schön, wahr und förderlich – ist und durch Sprachduktus, Ideenreichtum, Phantasie und Frische zum Lesen verführt. Geschriebenes sollte so kraftvoll, saftig und bunt sein wie das ureigentliche Leben mit seiner ganzen Fülle. Entdecke die Seelenfunken in allem, entfache sie durch dein Schreiben zu hellem Leuchten.

 

Schreiben, ohne bewusst zu atmen, ist kein Schreiben. Schreiben braucht ein Gefühl für Rhythmus und Melodie. Wobei es immer der eigene Rhythmus und die ganz eigene Melodie sein soll, wie wir auch unseren eigenen Atem- und Lebensrhythmus finden sollen. Schreibe niemals wie dein Lehrer oder eine andere Persönlichkeit. Schreibe authentisch, auch wenn es roh und ungeschliffen klingen mag. Jeder Rohdiamant ist einmalig und wertvoller als in Serie geschliffene Karfunkel.

 

Schreiben lernen funktioniert auf keinem schnellen und bereits geebneten Wege. Zunächst gilt es ein Gefühl für Sprache zu entwickeln. Sprache besteht aus Wörtern und aus Pausen zwischen den Wörtern, aus Grammatik und Betonung, aus Aussagen, Fragen, Ausrufen und aus Schweigen, aus Gefühl und Kalkül, aus dem ganzen Erleben eines Volkes und dessen Einzelwesen. Wörter bestehen aus Vokalen und Konsonanten. Man muss eine Sensibilität für Vokale, Konsonanten und Stille entwickeln. Vielleicht durch Murmeln, Flüstern, Grunzen, scheinbar sinnlose Lautmalerei und Lauschen. Ein Schreiber ist Logiker und Träumer, er ordnet seine Gedanken und lässt ihnen freien Lauf. Doch letztlich folgen sie niemand anderem als dem in uns allen verborgenen Dompteur, den man auch die zur Reife gekommene Intuition nennen kann.

 

Ich habe viele Jahre für mich selbst geschrieben und mich auf jenen Augenblick vorbereitet, ab dem ich dem großen Flötenspieler ein Bambusrohr sein durfte. Ich wollte ein wohltönendes Bambusrohr sein, das den Flötenspieler zufriedenstellt. Dabei bin ich – so gut es ging – Ich geworden, wie ich heute bin. Und der Flötenspieler bläst mir täglich – manchmal sanft, manchmal gewaltig – seinen Odem zu.

 

„Reimen ist kein Zeitvertreib,
sondern die höchste Kunst des Schreibens.“

 

© 2017 Bhajan Noam

 

 

Schreibkunst

 

Wenn du wissen willst, wie man gut und wahrhaftig schreibt, schaue dem Töpfer zu, wie er geschickt eine Vase dreht, beobachte den Angler, wie er mit Haken und Köcher umgeht, lausche dem Schmied, wie er rhythmisch das Eisen schlägt, frage den Gärtner, wohin der Wind die Samen austrägt.

 

Und doch wirst du es nicht wissen,
bis du Erde, Wasser, Feuer, Wind
in deinem Herzen eingefangen -
und ihr Kreisen, Wogen, Tanzen, Atmen
der fromm gestohlenen Feder lehrst.

 

© 2021 Text: Bhajan Noam

 

Geistige Ahnenlinie

 

Liebe V., Deinen Artikel bestätigend möcht ich Dir sagen, dass schon oder gerade in alten und ältesten Zeiten die Dichter und Denker voller Respekt Bezug nahmen auf die sie inspirierenden Mit- und Vordenker und dass sie jene stets namentlich in ihren Schriften erwähnten. Wie z.B.: Das habe ich gehört oder gelesen von XY; wie schon der ehrenwerte XY schrieb usw. Die geistige Erkenntnis eines anderen wurde also gewürdigt. Wir alle haben eine körperliche (genetische) Ahnenlinie, in noch gesunden Kulturen wird diese zeremoniell geehrt. In ebensolcher Weise haben Dichter und Denker eine geistige Ahnenlinie. Wir wissen, dass wir auf den Schultern unserer geistigen Ahnen stehen, dass ihr Vordenken und -leben uns zu dem gemacht und vielleicht erzogen hat, was wir heute sind. Dem zollen wir ewige Dankbarkeit und unsren Respekt durch das Erwähnen ihrer Namen und das Weiterreichen der Fackel. Wäre dies nicht der Fall, was wüssten wir heute von einem Homer, von einem Dschuang Dsi, von einem Matsuo Basho, von einer Rabiya al Basra, von Gargi, von Jakob Böhme, Shams-e Tabrizi, Mikhail Naimy und vielen weiteren Giganten des Geistes! Und wir wüssten auch nichts von Moses, von Buddha und Jesus. - Unsere Gedanken haben Wurzeln im fruchtbar gemachten Boden unserer geistigen Ahnen. Bemühen wir uns, den Boden für künftige Generationen weiterhin fruchtbar zu halten. - Es geht dabei nicht um Eigentum, der Geist ist ein Fließen. Doch jeder Fluss hat eine Quelle. Und Quellen hat man zu allen Zeiten geschützt und geehrt. Wer ein Bach oder eine Fluss ist, ist sich seiner Quelle bewusst. Und wer eine Quelle ist, weiß dies ganz sicher.

 

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