Abendgebet

Heilige Nacht
Auf einsamem Berggipfel
Hatte ich viele Leben auf dich gewartet
Doch heute im Tal
Kamst du sofort mir entgegen geeilt
 
Ich weiß, dass ich in meinem Geist
Das Bild der Welt erschaffe
Und es mit Namen und Taten fülle
Wo eigentlich nur stilles Vorübergehen ist
 
Heilige Nacht, als wärest du der Tod
Leere ich mein Herz
Und meinen Geist vor dir
Um wieder mit Leichtigkeit
Wie die Menschen früherer Zeiten
Dem Körper zu entsteigen
Und die Seele fliegen zu lassen
Zu deinen Sternen
 
 
 
 
Reflektion zum „Abendgebet“
 
„In die Nacht gehen ist wie der Mutter in die Arme fallen.“
Bh. N.
 
„Besser nur einen Tag erleben
und sich fragen,
wie alles entsteht und vergeht.
Besser nur eine Stunde erleben
Und die Todlosigkeit erkennen.
Besser nur einen Moment erleben,
einen Moment des weglosen Weges.“
Dhammapada 8. 12-14
 
„Dort scheint weder Sonne noch Mond, noch Feuer;
wer dorthin gelangt ist, kehrt nicht zurück;
es ist meine höchste Wohnstatt.“
Bhagavad Gita 15. 6
 
„Diener des Allmächtigen sind die,
welche demütig auf der Erde wandeln und,
wenn die Unwissenden zu ihnen sprechen,
nur „Friede“ antworten und die des Nachts hingeworfen
und stehend ihren Herrn anbeten.“
25.Sure 64/65
 
 
Sitze ich noch immer auf meinem einsamen Berg? Beharre ich auf meiner Exklusivität im Fühlen, im Denken, im Handeln? Warte ich noch auf den Prinzen / die Prinzessin, der / die mich befreit? Oder begebe ich mich selbst hinab in die Niederungen, werde ich aktiv? Handle ich nach dem Satz: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott? Liebe ich mich? Gestehe ich mir zu, dass ich Anerkennung erhalten darf? Wie gehe ich mit Kritik um? Kann ich das Leben als Spiel betrachten, frei von Verbissenheit? Kann ich ein echter Mitspieler sein, stets offen für Überraschungen? Kann ich annehmen, dass das Leben größer ist als ich – nicht als intellektuelle Feststellung sondern als existenzielle Erfahrung? Dass es mich immer in seinen großen Tanz mit einbezieht; dass ich es bin, der wieder und wieder den Rhythmus verlässt?
 
Beziehe ich in mein Denken und Handeln den Tod, der uns am Ende wieder alle gleich macht, mit ein? Könnte ich den Tod konkret in dieser Minute akzeptieren; könnte ich ihm als Willkommensgeschenk voll Dankbarkeit mein erfülltes Leben überreichen? Lache ich oft genug in meinem Leben?
 
Ohne Rechtfertigung schreibe ich meine schlichte Wahrheit nieder. Die Wahrheit macht mich frei dazu, mich wieder uneingeschränkt zu lieben.
 

 

 

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