KÜRZERE UND LÄNGERE PREDIGTEN

 

 

 

 

Die Erde aber …

 

O Gott, du Gott meiner Väter und Mütter,
ein stilles Lachen lacht in mir.
Die Taube flattert vergnügt über den
Wassern des Lebens und der Unwissenheit.
Warum lacht es in mir? Über eine Geschichte?
Über alle Geschichten. Und mit allen Geschichten,
die wie Spaten sind und die Seele ausgraben wollen
aus ihrem Grab aus tausend Geschichten.

 

Die Thora befreit uns nach und nach von den Ketten unserer Geschichten. Sie gibt uns Raum, unendlichen Raum! Unser Auge schwingt sich mit ihr hoch empor, und wir überschauen plötzlich die Welt von einem Ende zum anderen. Die ganze Menschheit, wir selbst, wandert unter uns vorbei in gebeugten Reihen des Leidens. Kleine Freudenfunken leuchten überall. Über, zwischen und in ihnen. Doch nur wenige sehen sie, und selten nur spürt sie jemand.

 

Verschwende keine Zeit mit diesem Traum! Wandere mit Gott in den lichten Höhen und singe mit den Seraphim. Tanze mit den Alten. So ziehst du Zug um Zug die Seelen aus der Finsternis empor.

 

Stehe in der Welt. Und träume im Himmel – den wahren Traum, den du sofort verstehst. Denn er steht im Buch der Wahrheit geschrieben, das du seit deiner Kindheit liest. Und das Buch ist aus Bäumen und Wasser geschaffen und die Bäume aus Erde und Licht. Ein Lehrer hat dir den Traum gedeutet und seither gehst du über das Seil mit verbundenen Augen und stürzt doch nicht. Jetzt blickst du in die Sonne und bist nicht geblendet.

 

„Die Erde aber war bloß und bar, und Dunkel lag über dem Grund,
und Gottes Windhauch wehte über die Wasser. Da sprach Gott:
‚Es werde Licht! ‘, und es ward Licht. Und Gott sah das Licht,
dass es gut war. Da schied Gott zwischen dem Licht und dem Dunkel.
Und Gott nannte das Licht Tag, das Dunkel aber nannte er Nacht.
Abend und Morgen – Tag des Einzigen.“
1. Mose 1.2-5

 

Der Einzige, aus dem heraus alles entstanden ist und entstehen wird, in den alles zurückkehrt und immer zurückkehren wird. Wie viele Welten kommen, wie viele sind schon gewesen! Staunen ist der Glaube, der dich mit der Wahrheit wieder vereint.

 

Wer nur ein einziges Mal das Licht des Einzigen geschaut, taumelt für die Welt, doch steht unbewegt in ihr. Für ihn wurde das Licht vom Dunkel geschieden. Er lebt im Tag des Einzigen und wandelt mit leichten Gliedern durch die Nacht. Solange Gott nicht ruht, ruht auch er nicht. Wie Gott tätig in sich ruht, strahlt auch er jetzt Macht und Ruhe aus – und ein stilles Lieben, das, zwischen den Welten wandernd, vermittelt.

 

Geschöpf dieser Schöpfung sein, heißt mitschöpfend zur Ruhe kommen, lernend und dann verstehend, sehend zur Freude aufsteigen. Zum Freund werden. Ein Freund ist im Schöpfer und in der Schöpfung zuhause. Er weiß, dass er niemals stirbt. Er verpflichtet sich, weil er sich verantwortlich fühlt. Deshalb hat er Freunde hier und dort. Gott schied, um sich zu spiegeln. Der Mitschöpfer vereint wieder zum Ursprünglichen.

 

Jakob kämpfte mit Gott in der Nacht. Und am Tag musste Gott ihn loslassen und seinen Segen geben. Es ist dieses Spiel der beiden, das in uns geschieht. Wir müssen den Segen, der unser ist, erringen. Der Segen, der immer in uns war, wird im Kampf bewusst. In der tiefsten Nacht des Leidens, beginnt der Stern zu funkeln. Dann lässt Gott uns los! Wir selbst können nicht loslassen. Das „Wir“ ist der Verstand, dessen Natur Kampf ist, auf letzter Ebene ein Ringen mit Gott. Wir kämpfen, bis sein Licht in uns aufscheint, bis der Tag des Einzigen für uns beginnt. Dann lässt Gott los, und das muss man sehr tief verstehen. Der Segen ist da! Das Licht ist geschieden von der Finsternis – und erhöht über beides.

 

© 2014 Abt Aharom Bhajan Noam

 

 

 

 


Im Anfang

 

Bereshit bara Elohim
et haShamajim
we’et haArez.

 

Im Anfang schuf Gott
den Himmel
und die Erde.

 

„Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.“ In diesem ersten Satz ist schon alles enthalten, was Religion ausmacht. Was das Leben ausmacht. Wahre Religion ist Leben, wie wahres Leben Religion ist. Gott schuf den Himmel und die Erde: Gott schuf zugleich das Ewige und das Vergängliche. Die Engel und den Menschen. Die Seelen und die Körper. Und der Mensch darf tanzen und träumen mit den Engeln, wie er auch forschen und Wurzeln treiben, sich tief mit der Schönheit und Nützlichkeit der Erde verbinden soll. Phantasieren und Planen, beten und arbeiten, beides zusammen jeweils ist erst menschliche Tätigkeit – abgeschaut von Gottes Werk. Arbeit ist Gebet, ist Lied, ist Wahrheit und Schönheit. Planen und Berechnen ist erst nutzvoll, wenn es der Verwirklichung eines Traumes dient.

 

Gottes Traum? Oder des Menschen Traum? Träumt Gott nicht ständig in uns? Träumen wir nicht ständig in Gott? Die Seele wandert in Gottes endlosen Palästen, um die Qualitäten des Lichtes zu erforschen auf dem Weg zum Thron der EINEN SONNE. Der Geist durchbohrt die Dunkelheit und die Nacht wird sternenklar. Gedichte entstehen so, Musik wird so herabgerufen, kostbare Werke tragen die Stempel beider Welten, prägen die Gemüter für immer mit den ewigen Funken, die von überallher lebendig sprühen und die ältesten Erinnerungen in uns wachrufen. Erinnerungen an lang vergessene Schönheit ohne Makel, an ein kindliches erstes Schauen noch aus ungestörter Symbiose heraus. Ein tiefes Eingetauchtsein im egalitären Meer des Gerechten.

 

Schuf Gott? Oder erschafft er immer noch? Gott erschuf und erschafft und wird in Ewigkeiten aus dem Uranfang heraus die Welten stetig neu erzeugen und wieder auflösen. Dieser schöpferische Uranfang ist in dir und in mir, in jeder Zelle, in jedem Atom und in jeder Galaxie. Diese Kraft ist unser kosmischer Besitz, doch nur wenn wir sie beständig an das Leben zurückschenken. Als bewusste Teilhaber an der unvergänglichen Schöpferkraft, am ewig wirkenden Schöpfungsakt, sind wir ja erst zu dem Menschen geworden, der heute sein eigenes Wesen und das Wesen Gottes zu verstehen wünscht – um der Liebe willen.

 

‚Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde‘ heißt: Gott hat sich ausgedehnt in den endlosen Raum und zieht unsere Seelen mit hinaus zu den wilden Tänzen der Sternenwelten, und Gott hat sich zusammengezogen in diese Körper aus Staub, ist zu uns geworden, hat sich selbst hinabgezogen und mit einbezogen ins Menschsein, ins Weltsein, ins Vergänglichste, das in Gottes Präsenz aber niemals vergehen kann und will, sondern sich nur auf ewig wandelt und dabei das beständige „Nichts“ geheim in sich verbirgt.

 

Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde, heißt: Tue alle deine Pflichten so gewissenhaft wie Gott die seinen verrichtet. Schaue nach oben und schaue nach unten und werde beidem gerecht. Sei demütig und sei ein helles Licht. Ernähre dich und nimm Nahrung an. Lehre und nähre, gib! Lasse geschehen, wenn die höheren Gesetze walten. Nimm die Dinge tatkräftig in die Hand, wenn der Himmel schweigt. Doch der Mensch ist selbst Himmel. Wie kann er auf sich selbst warten, er ist immer da! Nichtwissen, das heute Blindheit ist, ist morgen unsere Weisheit. Gott ist Schweigen und Mitteilen. Das Meer kennt seine Rhythmen, es kommt und geht, es ist friedlich und gewaltig. Doch Gott – und wir –  sind über allen Rhythmen und tief in ihnen. Durch Sein Schweigen hindurch erschallt die tosende Stimme der Offenbarung und Sein Offenbartes ist einfältige Stille. Der Mensch, solange er Erdenmensch ist, darf lernen. Deshalb wird er manchmal Schmerz erfahren. Aber es ist in Wahrheit die Freude der Ausdehnung Gottes. Und allzu oft wird er eine Freude verspüren, die das Weinen und Entsetzen Gottes über diese Enge ist.

 

Mit Religion mit einem „Bild“ von sich selbst schenkte uns Gott neue Augen und Ohren, da wir die ersten bei Seinem gewaltigen Schöpfungsakt verloren hatten. Wir ertaubten und erblindeten, denn wir waren noch zarte und leicht verletzbare Wesen. Das Donnern im Mutterleib der Erde war zu gewaltig und das Licht des ersten Himmels zu grell und unerträglich. So gab uns Gott das Wort und die Schrift. Doch damit empfingen wir auch zugleich und zum ersten Mal die Lüge und den Betrug. Aber selbst das sind nur Schulen und Universitäten des Himmels. Gott hat sie unmittelbar neben den Tempeln und Synagogen errichtet, manchmal sind es auch die gleichen Gebäude.

 

Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und Er wird gemeinsam mit uns weiterträumen, im Traum Gebäude um Gebäude errichten, Straßen durch Berge hindurch graben und Täler erhöhen, Türme der Macht und Zentren der Hoffnung begründen, Mauern des Trotzes und der Einsamkeit. Gott spielt mit. Doch zwischen all diesen Mauern pflanzte Er, ganz unscheinbar, den Baum der Erkenntnis, damit wir eines Tages, wenn wir wie zufällig aus unserem Fenster schauen, ihn lachend entdecken. Dann lacht auch Gott. Dann herrscht Freude zwischen den Welten, die nur eine einzige ist und die aus der Wahrheit und der Liebe schöpft. Wir sind am Ziel, wir sind aufgewacht – und haben nie geschlafen, nie verlassen und vergessen, nie geträumt. Deshalb musste Gott erschaffen, um am Ende Sich selbst in uns als Sich zu erkennen. Himmel und Erde sind Ein- und Ausatem des ewigen Lebens, welches aus sich heraus nur ewig sein kann. Wahrheit, Schönheit, Freiheit, Liebe sind die Blüten seiner Jahreszeiten und der Duft, durch den es sich selbst immer neu zur Leidenschaft verführt.

 

Das Erwachen aus dem Paradies und das Erwachen aus der Welt, beides geschieht in einem Augenblick. In diesem mystischen Augenblick, der ewig währt, leben wir mit Gott vereint, während niemand von uns um den anderen weiß und keinen Namen trägt. Um das zu beenden, um höchste Freude zu kreieren und aus noch einigen anderen Gründen, die nur Gott selbst kennt, erschuf Er nach dem Himmel und der Erde als Drittes die heilige Thora: Denn würden wir ohne sie all das Wunderbare und Rätselvolle je erfahren und erfragen und ertragen?

 

Würden wir uns hier Gedanken machen um unser Sein, um Freundschaft, um Liebe, um Brüderlichkeit, um Gerechtigkeit und Frieden, um Intimität und Grenzen, um spirituelles Wachsen, um Fortschritt und den Sinn der alten Traditionen? Mit der heiligen Thora erst gab Gott dem Menschen die Möglichkeit zur höchsten Reife. Himmel und Erde sind Spielplatz und Scheideweg, das Paradies war der Kindergarten, das Leben unter den Völkern die vielen kleinen Privatschulen. Die Thora aber ist erst der Tempel für das heilige Studium zum sinnhaften und wahrhaftigen Leben auf dieser Erde, über welcher der Bogen des ewigen Bundes am Himmel erstrahlt, des Lebens nach Gottes Wunsch und Wirklichkeit im Einvernehmen mit dem geheilten, geheiligten Menschen. „Denn ich bin heilig, so sollt auch ihr heilig sein“, flüstert Gott in jedem Moment in unseren gestillten Herzen. Versammelt in nie gekannter Gelöstheit und Fröhlichkeit betritt der Mensch den heiteren Garten der Thora, um, von allem Spekulativen weg, ins Konkrete hineinzuwachsen. Von den Nebeln des einsamen Anfangs in das Licht der Billionen Begegnungen, das hier für uns aufleuchtet.

 

Und wer hilft uns dabei? Die Vorväter und Propheten mit ihrer ganzen Größe, Klarheit und Wahrhaftigkeit in all ihren Gedanken, Worten und Taten. Und ebenso mit ihren vielen Fehlern, Schwächen und Sünden: mit ihrer Menschlichkeit. Gott sorgt in allem für den Ausgleich. Ja, Gottes Wesen ist Ausgleich, ist stets beides: Strahlen und Dunkelheit, Anwesenheit und Abwesenheit. Auch Weisheit und Torheit? Vielleicht, doch in Seiner höchsten Königswürde. So braucht sich der Mensch niemals unwürdig zu fühlen, Gott wünscht ihn sich als König! Ob in Samt und Seide oder in Lumpen und Fetzen, sein Königtum gründet alleine auf seiner Treue zur Wahrheit. Diese Wahrheit ist ewiges Entdecken und Wiedererkennen. Ein Studium, das gewiss immer fröhlicher macht! Wenn ein Mensch zu einem anderen Menschen findet, lacht Gott, denn der Mensch hat Ihn in Seinem geheimsten Versteck entdeckt. Deshalb lernen wir Thora nie alleine. Deshalb behandeln wir den Fremden, der uns begegnet, wie einen Gesandten Gottes. Deshalb ist das Heiligste die Familie.

 

Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Auf unserer langen oder kurzen Reise hier auf Erden lernen wir, immer wacher und dann dankend, preisend und liebend, liebend weil mehr und mehr verstehend, vertrauensvoll in beidem zu leben. So werden auch Lachen und Weinen am Ende eins sein – und Sein Segen. Amen.

 

© 2014 Abt Aharon Bhajan Noam

 

 

 

 

 

DIE BEWEGUNGEN DES LEBENS

 

Die Bewegung des Atems ist ein Ausdehnen und ein Zusammenziehen. Diese Bewegung kommt in jeder Lebensform vor, ja, es ist die Bewegung des Lebens schlechthin. Die Wissenschaft hat lange gerätselt, ob sich das Universum momentan ausdehnt oder zusammenzieht. Sie ist sich auch heute noch nicht sicher, ob es einen sogenannten Urknall gab, und wenn, was es davor war. Gab es ein Davor? Wir können immer vom Kleinen auf das Große schließen und umgekehrt. Das Universum dehnt sich aus und zieht sich zusammen. Es atmet wie wir. Der Urknall war der Beginn einer Ausdehnung und das Ende eines Zusammenziehens. Das hat das Universum schon viele Male getan, es hat sich ausgedehnt, das heißt es hat eingeatmet und es hat sich wieder zusammengezogen, das heißt es hat ausgeatmet. Und es gibt nicht nur dieses eine Universum, es gibt unendlich viele. Sie sind die Zellen eines ewigen Wesens. Es gibt keine Ende nach außen, wie es kein Ende nach innen gibt. Innen und Außen begegnen sich, durchdringen sich in der Unendlichkeit. Dieses unendliche Wesen in seiner Gesamtheit, zu dem wir gehören, von dem jede Lebensform ein Teil ist, atmet genauso wie die vielen winzigen Teilchen des göttlichen Ganzen.

 

Die zweite Ausdrucksform des Lebens ist die Spirale. Sie steht im Wechselwirkung mit der ersten, dem Ausdehnen und Zusammenziehen, das stets spiralförmig geschieht. Wir sehen es im Universum in der Form der Galaxien. Während unsere Sonne durchs All rast, folgen ihr die Planeten in Spiralen. Wir können es in unserem Körper beim Vorgang des Atems beobachten, ebenso in unseren Muskeln, Organen und Knochen. Es betrifft die gesamte Natur. Der Atem fließt spiralförmig durch unsere Nasengänge, durch die Luftröhre die Bronchien und Bronchiolen. Unser Blut fließt spiralförmig durch die Arterien, Arteriolen, Kapillaren, Venen und Venolen. Der Aufbau unserer Muskeln, und deren Anordnung untereinander, stellen Spiralen und Gegenspiralen dar. Die Zellanordnung der Knochen ist spiralförmig. Die DNA, ein sogenannter Baustein des Lebens, ist eine gegenläufige Spirale, genau wie unsere beiden Hauptenergiekanäle Ida und Pingala den zentralen Kanal Sushumna umspielen. Die Blattanordnung bei jeder Pflanze macht diese Form sichtbar, das Fließen des Wassers, die meandernden Bäche und Flüsse. In der Mathematik wird es durch die Fibunacci-Folge ausgedrückt, also die Zahlenfolge 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89 usw., wobei die aktuelle Zahl immer die Summe der beiden vorangegangenen Zahlen ist. Wenn wir also die Reihe fortsetzen wollen, folgt als nächste Zahl 144 (55+89) usw. Das Spannende ist, dass sich die Natur genau nach diesen Zahlen verhält. Man kann es besonders gut bei der Samenanordnung in einer Sonnenblumenblüte oder bei einem Tannenzapfen abzählen. Man wird immer auf jene Zahlenreihe stoßen.

 

Was wir als Ausdehnen und Zusammenziehen erleben, ist in Wahrheit eine gegenläufige Raum-Zeit-Spirale, ebenso, was wir als Dunkelheit und Helligkeit, als Krieg und Frieden, als Liebe und Hass, als Nichtwissen und Wissen, als Leben und Tod erfahren. Unser Geist, unsere Seele, unser Körper verhalten sich nach den Gesetzen der Raum-Zeit-Spirale, die aber nach dem Gesetz der Ausdehnung und Zusammenziehung eine zentrale Achse haben muss, eine Beständigkeit. Das Bewusstsein ist diese Konstanze im Spiel der unendlichen Schöpfung wie in unserem eigenen kleinen Leben. In tiefer Meditation erkennen wir, dass wir selbst diese Konstanze sind, um die herum der Tanz des Lebens sich seines ewigen Spiels erfreut. Der tibetische Mönch taucht mit schwingendem Körper in seine Meditation ein. Der Sufi-Tänzer erlebt die Erhebung zu Gott im Kreistanz. Der orthodoxe Jude lässt seinen Rumpf während des Betens und Rezitierens wackeln. Ein müde am Boden sitzendes Kind schaukelt sich in selige Träume, in eine lichtvolle Rückbindung. Wenn wir nur ein wenig die Natur nachahmen durch rhythmisches Atmen, Tanzen oder Beten, beginnt das ewige Leben wieder zu uns und durch uns zu sprechen.

 

© 2021 Abt Aharon Bhajan Noam

 

 

 

 

 

Was ist ein wahrer Mensch?

 

Ein wahrer Mensch lebt Religion und arbeitet ein wenig für seinen einfachen Lebensunterhalt. Ein vom Wahren abgekommener Mensch folgt dem Geld, dem Besitz und der Macht. Er weiß nichts von einem Davor und Danach, weiß nicht woher er kommt und wohin er gehen wird. Ein wahrer Mensch kümmert sich mit Ernst und Liebe um die täglichen Belange seines nahen Umfeldes, seiner Familie, seiner Freunde, seines Dorfes. Und lebt anderen dabei Bescheidenheit, Freundlichkeit, Mitgefühl und ein Sorgetragen um den Mitmenschen vor. Er lebt seine Tage und Nächte in heiterer Gelassenheit, weil er sich auf einer höheren Ebene eingebunden fühlt in ein geheiligtes Ganzes.

 

Ein wahrer Mensch ist ein fröhliches und friedvolles, innig fühlendes, denkendes und handelndes Wesen. Er weiß, dass sein Hiersein nur eine Station von vielen seiner unsterblichen Seele ist, auf der sie sich bewähren darf, eine Lebensspanne, die sie mit anderen in Harmonie und Freude teilen darf. Religion leben, heißt nicht blind vorgegebenen Dogmen zu folgen. Religion leben heißt, der Stimme seiner inneren Weisheit zu folgen und dieser Stimme, die sehr fein und leise erklingt, immer wieder neu zu lauschen und ihr vielleicht durch Lieder und Gedichte auch eine Form zu schenken. Diese Lieder wird ein wahrer Mensch überwiegend für sich alleine singen, wie all sein Tun mehr in der Abgeschiedenheit und dennoch nicht ohne Wirkung für andere geschieht.

 

Ein wahrer Mensch zu sein oder zu werden, ist nicht einigen wenigen Auserlesen vorbehalten. Es sollte unser aller Ziel sein! Ja, wir sind es in unserer Anlage bereits. Sie wurde nur verhüllt von einer Erziehung, die uns einen Mangel lehrt und den Kampf ums Überleben jedes Einzelnen gegen jeden anderen. So wurde unser Leben veräußerlicht. Sein Sinn wurde es, diesen Körper um jeden Preis zu erhalten und darüber hinaus, ihn zu verherrlichen und als unsere alleinige Seinsmöglichkeit zu betrachten – danach nur ein furchterregendes schwarzes Nichts. In der Stille, in der Meditation, im Gebet wird es jeder früher oder später erkennen: Da ist überall Licht, da ist einzig Liebe und da ist ein unendlicher Raum ohne Begrenzung in uns. In ihm sind wir alle auf ewig verbunden, hier ist kein Getrenntsein, hier herrscht Freundlichkeit und hier ist wahre Wonne möglich.

 

Der wahre Mensch hat dies als seine Heimat erkannt, und er ist ein Botschafter und Bezeuger ihrer Existenz. Das ist der Grund seines schlichten Hierseins. Komme ihm nahe, lausche seinen leisen Melodien, seinen weisen Worten oder seinem lebendigen Schweigen. Er kann dich heilen von allen Vorstellungen, die dir wie eine Krankheit und mühevolle Last vermacht wurden. Du brauchst ihm nur in seine Augen zu schauen, aus denen ein liebliches Licht deine tiefste Sehnsucht berührt. Deine ganze Bestimmung ist, ein wahrer Mensch zu sein, hier und heute, in Ewigkeit, in Unverletztheit, in Liebe und in Leichtigkeit.

 

© 2014 Abt Aharon Bhajan Noam

 

 

 

 

 

 

LEBEN EXISTIERT DURCH GRENZEN

 

Wir können beim kleinsten Teil beginnen. Hat ein Atom keine Grenzen, wird die Menschheit durch eine Atomkatastrophe ausgelöscht. Hat eine Zelle keine Grenzen, entsteht Krebs. Oder ganz simpel: Jedes Preisschild an einer Ware ist eine Grenze, d.h. es setzt einen genauen Preis fest für diese Ware; der Kassierer darf  von dir nicht mehr dafür nehmen und für weniger kommst du nicht durch die Kasse. Unser Körper hat als Begrenzung eine Haut, niemand möchte, dass sie verletzt wird. Hätte eine Wohnung keine Wände und kein Dach, wäre es keine Wohnung und kein Schutz für seine Bewohner vor Hitze, Kälte und Nässe. Und ein Staat ohne Grenzen ist kein Staat, denn sein Begriff ist auf ein bestimmtes Gebiet definiert. Beansprucht und beschützt er es  nicht, was sein Auftrag und seine Aufgabe ist, werden seine Bürger ausgeraubt, ermordet oder vertrieben. Die Zehn Gebote setzen dem Menschen sinnvolle Grenzen für ein konstruktives Zusammenleben: Du sollst nicht lügen, nicht betrügen, nicht stehlen, nicht töten, nicht den Besitz anderer begehren. Das sind vernünftige Regeln und ein Schutz für den einzelnen Menschen. Da die meisten Menschen aber unvernünftig sind und diese schönen Worte alleine nicht genügen, bedarf es der Wächter über die Gebote, die für das Einhalten der Handlungsgrenzen sorgen. Leben, zumindest lebenswertes Leben, existiert nur durch Grenzen.

 

© 2019 Abt Aharon Bhajan Noam

 

 

 

 

EINE GRUNDSATZ-PREDIGT

(für alle die bereit sind, die Worte zu hören)

 

"Es ist kein Unglaube im Volk, es ist Unglaube

in den führenden Persönlichkeiten."  Bh.N.

 

„Hört heute die Worte Jesajas: Sucht den Herren, solange er sich finden lässt, ruft ihn an, solange er nahe ist. Der Sünder soll seinen Weg verlassen, der Frevler seine Pläne. Er kehre um zum Herren, damit er Erbarmen hat mit ihm; denn unser Gott ist groß im Verzeihen. – Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken. – Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt und sie zum Keimen und Sprießen bringt, wie er dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe. – Voll Freude werdet ihr fortziehen, wohlbehalten kehrt ihr zurück. Berge und Hügel brechen bei eurem Anblick in Jubel aus, alle Bäume auf dem Feld klatschen Beifall. Statt Dornen wachsen Zypressen, statt Brennesseln Myrten. Das geschieht zum Ruhm des Herren als ein ewiges Zeichen, das niemals getilgt wird.“

 

„Eine neue Gläubigkeit, eine beseelte, authentische Gläubigkeit beginnt immer mehr Menschen zu erfassen oder wird von ihnen als noch nicht benennbare Sehnsucht tief in ihrer Seele erahnt. Das äußere Leben wird als sinnentleert empfunden. Die Politik, der Unterhaltungsmarkt, das vorgegaukelte Leben in der Werbung, die eigene Tätigkeit und leider auch das vorhandene Religionsangebot werden oft als hohl, als Surrogat erfahren. Die Suche nach neuen, gangbaren Wegen, nach kompetenten Menschen, die brennenden Fragen nicht mit erlernten Phrasen und kaltherzigen Vertröstungen begegnen, sondern die mit offenen Ohren und verstehenden Herzen zuhören, die durch wirkliches Zuhören eigene Antworten im Gegenüber erwachsen lassen, diese Suche wird immer lauter vernehmbar für alle, die im Pulsschlag der Zeit und dieser Menschheit wach und fühlend mitschwingen."

 

„Was fehlt den Kirchen, den Synagogen, den Gotteshäusern überall? Was macht Gottesdienste so langweilig, dass sie sich keiner mehr anhören und anschauen mag? Sie sind zu nichtssagenden Ritualen und zu wertneutralen Predigten verkommen. Es gibt ganz sicher beispielhafte Ausnahmen; aber insgesamt zeigen uns doch die bescheidenen Besucherzahlen den tiefen Verdruss. Ich behaupte: Es ist kein Unglaube im Volk, es ist Unglaube in den führenden Persönlichkeiten. Prediger, die von Gott leibhaftig beseelt sind, vermögen Menschen anzuziehen und für Gott zu begeistern, wie es einige geisterfüllte Männer und Frauen beispielhaft tun. Woche für Woche kommen die Gläubigen von weit entfernten Gemeinden angefahren, um genau das zu bekommen, was Gottesdienst für sie sein sollte und dort offensichtlich ist. Diese scheintoten Religionsapparate, die die Erhebung der Seele, die Erleuchtung des Menschen verhindern, sind wie Krankenhäuser, in denen Heilung verboten ist. Der Meister der Christen sagte dazu schlicht: Lasst die Toten die Toten begraben.“

 

„Und das Volk wird sich die Lebendigen suchen, die Meister, die Erwachten, die leuchtenden Wesen; denn das Volk hat sich noch ein natürliches und gesundes Gefühl bewahrt. Die neue Gläubigkeit wird sich neue Orte suchen, lebendige Tempel mit Predigern, die singend und tanzend die Wahrheit verkünden, deren Gebet die Menschen wieder mit Heiligkeit erfüllt.“

 

„Aber auch dies möchte ich zu euch sagen: Religion gehört wieder ins eigene Heim, in die eigene Wohnung. Dort war immer der Platz der heilen und heiligen Volksgläubigkeit. Gottesdienst kann täglich stattfinden vor dem kleinen Altar oder der einfachen Kerze. Gebet beginnt und beendet hier den Tag, führt morgens in einen erfüllenden Arbeitstag und abends in eine erholsame Nacht hinein. Gebet sollte auch, egal wo wir uns befinden und was wir gerade tun, dem Tag wieder seinen prägenden Rhythmus geben. Einen Rhythmus, der gesund für uns ist, der uns wohltut, der uns nicht außer Atem bringt, sondern der uns gerade wieder in unsere Natürlichkeit zurückführt. Dankgebet und Meditation sind die natürliche Sprache und Seinsweise der Seele, von der wir uns so weit entfernt haben. Das ist unsere eigentliche Krankheit. Das ist der Grund für unsere Rastlosigkeit. Wir sind auf der Suche und wissen nicht, nach was und wo wir suchen sollen. Es ist immer hier. Findet es wieder im Gebet!“

 

„Gott, den wir suchen und herbeisehnen, ist nichts Abstraktes, er ist unmittelbar. Er fließt durch unsere Adern. Er weht durch unseren Atem. Er pocht in unseren Herzen. Er denkt in unserem Geist. Er träumt in unseren Nächten. – Dass er so nah, so selbst-verständlich ist, lässt ihn uns zumeist nicht wahrnehmen. Dass er so groß ist, dass er das unendliche Ganze ist, macht ihn uns so unermesslich. Wie der Vogel eins ist mit den Winden, mit der Luft, wie der Fisch eins ist mit den Strömungen, mit dem weiten Ozean, sind wir in Gott und Er in uns. Da es keinen Abstand gibt, nicht einmal in der größten Sünde, ist Gott für uns nicht zu fassen. Und dennoch haben wir ein Wissen in unserer tiefsten Seele, das wie ein helles Licht erstrahlt, wenn wir unsere ganze Wachsamkeit vom Verstand zum Herzen hin lenken. Gott erfahren wir in der Liebe zum Anderen. Gott nehmen wir wahr im Echo der Welt auf unser Sein. Gott erkennen wir in der Richtigkeit unseres Denkens und Handelns. Gott lernen wir immer besser kennen beim Studieren der tieferen Gesetze des Lebens. Gott begegnen wir innigst in der Stille unseres Gebets. Und Gott lässt sich immer wieder von uns allen gemeinsam in diesem Raum erleben: In dem feinen Erzittern der Sphäre und unserer Gemüter, wenn wir zusammen mit unseren Schwestern und Brüdern singen und beten, wenn wir alle unsere Herzen öffnen und unsere Stimmen frei erschallen lassen zu den geheiligten Worten und Melodien.“

 

© 2021 Abt Aharon Bhajan Noam

 

In leichter Abwandlung aus meinem Buch "DIE NACHT MIT ELIA"

 

 

 

Bhajan Noam

Die Nacht mit Elia

הלילה עם אליה

 

Bhajan Noam ist es gelungen, ein aufwühlendes, vielschichtiges Buch zu schreiben in einem ganz eigenen, eigenwilligen Stil über einen uns allen heimlich im Herzen brennenden Themenkomplex, an den niemand bisher in Form von solch ein- dringlichen, gebrochenen, mystischen Geschichten und seelenvollen Bildern gerührt hat.

 

216 Seiten, 12,- €. (D) portofrei bestellen: bhajan-noam@gmx.de

Beschreibung: www.bhajan-noam.com/meine-buecher/

 

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