FASZIEN SIND FASZINIEREND !
© Text: Bhajan Noam
Faszien sind im Körper das Gewebe, das die Muskulatur umhüllt und das ebenso den Organen ihre Lage, Form und Festigkeit gibt. Auch das Bindegewebe zählt zum Fasziengewebe, es ist strukturbildend und fügt die einzelnen Teile unseres Körpers zu einer Ganzheit zusammen. Faszien sind eine Matrix für die intrazellulare Kommunikation, sie spielen auch eine wichtige Funktion innerhalb des Abwehrsystems. Bei Verletzungen bilden sie das Grundmaterial für die Heilung des Gewebes.
Yoga betreffend ist es wichtig zu wissen: Es sind nicht nur angespannte, verkürzte Muskeln, die unsere Bewegung einschränken, sondern sehr oft auch die Verklebungen von
Muskelfaszien und Bindegewebe. Zwischen Muskelfaszie und Bindegewebe (das sog. Unterhautgewebe) befindet sich normalerweise ein Gleitfilm, dank ihm können die Muskeln frei unter dem Bindegewebe hin
und her gleiten. Ist die Muskulatur aber verspannt und verhärtet, wird sie weniger durchblutet und die Gleitflüssigkeit bildet sich zurück. Auf diese Weise verklebt allmählich die Faszie mit dem
Bindegewebe.
Das mit der Muskulatur verklebte Bindegewebe ist nicht mehr gleit- und dehnfähig. Nur die Muskeln zu dehnen, reicht hier nicht mehr aus. Innerhalb der Muskeln gibt es die Propriorezeptoren, die einen Dehnreiz ans Gehirn weiterleiten, welches den entsprechenden Muskeln dann befiehlt, sich zu entspannen. Das gibt es in dieser Art nicht in den Faszien und im Bindegewebe. Hier ist Manualtherapie gefragt. Der beste, aber auch (relativ) schmerzhafte Weg ist ein Massieren, bei dem man das Bindegewebe mit den Fingern packt und in sogenannte "Röllchen" ausstreicht. Das heißt man rollt die Haut z. B. von der Wirbelsäule nach außen oder in eine andere Richtung, jeweils dem Gewebeverlauf folgend. Querfriktionen, bei denen die Muskeln quer zu ihrer Verlaufsrichtung gedehnt werden, sind eine ergänzende Möglichkeit.
Man muss also zwei Wege gehen. Durch ausgiebiges Dehnen bei den Asanas (Yogaübungen) werden die Muskeln wieder angeregt, gelockert und in ihrer Durchblutung gefördert. Und durch gezieltes Massieren werden lange bestehenden Verklebungen aufgelöst. Dieser Prozess kann eine ganze Weile dauern, aber er lohnt sich und wird sich durch zunehmende Beweglichkeit bemerkbar machen.
Auch etliche Nervenbahnen verlaufen zwischen Muskelfaszie und Bindegewebe, die durch die Verklebungen in ihrer Funktion beeinträchtigt werden bzw. schmerzen können. Genauso ist es mit den Nadis (Energiebahnen). Dann haben wir im gesamten Bindegewebe, wie man es von den Füßen bereits kennt, auch Reflexzonen, die gleichfalls beeinträchtigt werden und unmerklich eine negative Fernwirkung auf andere Körperbereiche und Organe ausüben können. Also ran an die Arbeit!
INTERSTITIUM UND PARENCHYM
© Text: Bhajan Noam
Anatomie ist die Lehre von der inneren Beschaffenheit des Körpers. Das Wort kommt aus dem Altgriechischen ana „auf“ und tome „Schnitt“. Unser anatomisches Wissen kommt aus dem Zerlegen des Köpers und dem Betrachten des Zerlegten. Zerlegt werden kann allerdings nur ein toter Körper, ein toter Körper unterscheidet sich aber ganz wesentlich von einem lebenden Körper. Somit kann uns die Anatomie nur rudimentär etwas über unseren Körper erzählen. Das sie die Seele, das ureigentlich Belebende, nicht findet, kennen wir von dem bekannten Spruch eines Chirurgen: „Ich habe schon Tausende von Körpern aufgeschnitten, aber so etwas wie eine Seele habe ich dort nie entdeckt“. Der Anatomie liegen aber noch nicht einmal lebendige Organe oder Körperteile vor, die sie beschreiben könnte.
Totes Gewebe jeglicher Art ist kein lebendes Gewebe, seine Strukturen sind mit dem Aushauchen des Lebens unmittelbar verändert. In einem toten Muskel ist nicht mehr die Kraft eines lebenden Muskels zu erkennen. In einer toten Nervenbahn können nicht die vitalen Impulse gesichtet werden. Ein totes Herz ist erschlafft, wie soll sein ehemals kraftvolles Schlagen noch herausgelesen werden? – So nimmt es nicht Wunder, dass als aktuelles Bespiel auch der Anteil des Interstitiums am gesamten Körpergeschehen über Jahrhunderte bis vor kurzem gänzlich unbekannt blieb. Erst neue Betrachtungsmöglichkeiten und die zufällige Entdeckung bei einer Operation, also im lebendigen Körper, veränderten seinen Stellenwert innerhalb der Medizin beinah schlagartig.
Interstitium, engl. stroma oder interstice, kommt von lateinisch inter „zwischen“ und sistere „stellen, legen“. Das Interstitium ist in der Histologie (Gewebelehre) das Organe und Muskeln durchziehende und umhüllende stützende und untergliedernde Zwischengewebe. Es besteht aus kollagenen Fasern und stabilisiert gegen mechanische Belastungen wie Dehnung und Kompression. In ihm verlaufen die Blutgefäße, Lymphbahnen und Nerven des Organs. Die Zellzwischenräume sind mit Gewebsflüssigkeit gefüllt und werden Interstitialräume genannt. Bisher nahm man an, das Interstitium sei nicht – wie das Parenchym (funktionsausübendes Gewebe) – an organspezifischen Funktionen beteiligt. Die kanalförmige Organisation und die weite Verbreitung der Hohlräume waren unbekannt. Das neu entdeckte Interstitium besteht aus einer bindegewebsartigen Netzschicht, die Kammern und Kanäle bildet. Im Gegensatz zum Interzellularraum sind diese Kanalsysteme jedoch makroskopisch erkennbar.
Dies entdeckten erstmals Forscher des Mount Sinai Beth Israel Medical Centre in New York. Sie nutzten spezielle Endoskope, mit denen man direkt im lebenden Körper umliegendes Gewebe im mikroskopischen Maßstab betrachten kann. Bei der Endoskopie eines Gallenganges beobachteten sie, dass dieser von einem lockeren, schwammartigen Geflecht aus Kollagenfasern und eingelagerten Zellen umgeben ist, dessen Zwischenräume mit Flüssigkeit gefüllt sind: das Interstitium. Die Erkenntnis, dass das Interstitium existiert, war nicht neu. Aber dessen Größe, Verbreitung und seine genaue Struktur sind überraschend. Die amerikanischen Forscher fanden das Interstitium auch in der Submucosa (Bindegewebsschicht unter der Schleimhaut) verschiedener anderer innerer Organe, die intermittierender oder rhythmischer Kompression ausgesetzt sind, wie der Harnblase, des gesamten Magen-Darmtrakts sowie in der Haut, im Gewebe um Venen, Arterien und die Bronchien herum sowie in Muskeln. Das Interstitium zieht sich wie ein riesiges Geflecht durch den Körper und beinhaltet ca. ein Drittel der gesamten Körperflüssigkeit.
Die Wissenschaft hatte das Interstitium als ein dichtes Bindegewebe angesehen, in dem mehrere Lagen Kollagen eng übereinander liegen. Seit Jahrhunderten sind eingefärbte Gewebeschnitte der Standard bei mikroskopischen Untersuchungen. Aber in solchen Schnitten erscheint das Interstitium anders als es jetzt mikroskopisch direkt im Körper beobachtet werden konnte. Das als dicht angesehene Bindegewebe besteht in der Realität aus weiten, flüssigkeitsgefüllten Kanälen, die von den Kollagenbündeln gestützt werden. Das konnte zuvor nicht erkannt werden.
Wenn man ein Gewebe für mikroskopische Untersuchungen dünn schneidet, läuft die Flüssigkeit des Interstitiums einfach aus. Die Kollagenfasern lagern sich dann dicht übereinander. So lässt sich seine eigentliche Funktion nicht erkennen. Mit der Entdeckung durch neue Methoden, dass das Interstitium tatsächlich aus schwammigen, flüssigkeitsführenden Gewebeschichten besteht, die vielerorts den Körper durchziehen, stellt sich auch die Frage nach der Funktion neu.
Offensichtlich ist das Interstitium mechanisch wie eine Art Stoßdämpfer aufgebaut. Es ist im Körper überall dort zu finden, wo sich Gewebe bewegen, sei es der Darm, die Blase oder Muskeln mit den umgebenen Faszien. Jetzt weiß man aber auch, dass sich über diesen Raum Entzündungen im Körper ausbreiten können. Zudem wird dort die Lymphflüssigkeit gebildet. Das Interstitium bildet eine Art prälymphatisches System, das nun weiter erforscht werden muss.
Das Parenchym, altgriechisch para „neben“ und enchein „hineingießen“ ist bildlich gesprochen in das Interstitium „hineingegossen“. Es wird von differenzierten, spezifischen Funktionszellen eines Organs gebildet. Das sind bei den Nieren die Nephronen (Nierenkörperchen und Nierenkanälchen), bei der Lunge die Alveolen (Lungenbläschen), bei der Milz die weiße und rote Pulpa (Lymphfolikel und Lymphscheide), bei der Leber die Hepazyten, bei der Schilddrüse die Thyreozyten usw.
Parenchym und interstitielles Bindegewebe sind keine streng getrennten anatomischen Kompartimente, sondern bilden auf mikroskopischer Ebene eine enge funktionelle Einheit. Parenchymzellen und Stromazellen stimmen ihre Zellaktivität aufeinander ab, indem sie sich gegenseitig biochemisch beeinflussen.
Die Wechselwirkungen zwischen Interstitium und Parenchym sowie die neu entdeckte anatomische Struktur und Ausdehnung von ersterem kann für ein Verständnis der Wirkung verschiedener Körpertherapien (Reflexzonenmassage, Akupunktur/-pressur, Marmatherapie, Osteopathie, Klangtherapie usw.) und vieler physiologischer Vorgänge im menschlichen Körper beitragen und diesbezüglich ein interessantes neues Forschungsfeld eröffnen.
Ein Artikel zum Thema:
„Structure and Distribution of an Unrecognized Interstitium in Human Tissues“ vom 27. März 2018 in der Zeitschrift Scientific Reports.
>>> https://www.nature.com/articles/s41598-018-23062-6
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